Inhalt
Dolby Atmos Music, 360 Reality Audio, binaural, immersiv, 3D-Musik… All diese Begriffe fliegen einem derzeit im wahrsten Sinne um die Ohren. Vor allem, wenn man sich etwas mit Musik-Streaming beschäftigt, kommt man um „3D-Musik“ auf Apple Music, Tidel, Deezer und Co. eigentlich nicht herum.
Worum es sich bei Dolby Atmos Music handelt, wie das klingt und warum aktuelle Musik-Hypes kritisch hinterfragt werden sollten haben wir hier schon behandelt.
Eine Frage, die immer wieder auftaucht, ist die: Wie gut klingt denn jetzt 3D-Musik? Was können die Songs in Dolby Atmos Music oder 360 Reality Audio? Oder auch, was kann der Raumklang für Musik eigentlich nicht?
Streaming-Dienste wie Tidal bieten mittlerweile eine recht große Auswahl an Songs in Dolby Atmos Music und 360 Reality Audio an, sortiert in verschiedenen Playlists. In den Hörgenuss (oder manchmal auch das Gegenteil…) kommt man bei Tidal mit dem TIDAL HiFi Abo (19,99€/Monat).
Ich hab mich mal etwas durch die Dolby Atmos Playlists und 360 RA Beispiele gehört. Dabei ist für Dolby Atmos Music als auch 360 Reality Audio folgende Liste entstanden. Mit eben solchen guten und schlechten Beispielen. Verwendet wurden sowohl Sony WH1000XM3* Kopfhörer als auch Apple AirPods Pro*.
Die Liste wurde auf Basis subjektiver Eindrücke erstellt, die Einteilung in “gute” und “schlechte” Beispiele erfolgt anhand von klanglichen Beschreibungen. Es wurde versucht, diese möglichst neutral zu formulieren und persönlichen Geschmack möglichst außen vor zu lassen.
Allerdings variiert das binaurale Hörerlebnis zum Teil erheblich von Person zu Person. Diese Beispiele sollen somit nur ein Höranreiz sein, woraus sich jeder seine eigene Meinung bilden kann.
Die Titel stammen zum Großteil aus bereits vorhandenen Produktionen, die für beide Formate neu aufbereitet wurden. Neue Titel oder Alben werden hingegen teilweise extra für Dolby Atmos Music und 360 RA produziert.
Es ist aktuell schwierig, die gleichen Titel in beiden Formaten zu finden – das kann zum einen daran liegen, dass die Produktion für beide Formate zu aufwändig wäre. Zum anderen bringen Labels wie Sony Music Entertainment v.a. 360 Reality Audio Inhalte heraus, wohingegen die Universal Music Group viel in Dolby Atmos Music produziert. Manchmal auch auch ein ganzes Album.
Hier geht’s zu einem Überblick der Streaming-Dienste für 3D-Musik. Dort kann man herausfinden, welche Plattform welches Format unterstütz. Und ist damit auch herzlich eingeladen, die Demo Titel anzuhören.
Klangliche Unterschiede beider Technologien werden unten beschrieben, zu den technischen Unterschieden wird es bald zwei eigene Posts geben.
Gemeinsamkeiten von Dolby Atmos Music und 360 Reality Audio sind vor allem, dass es sich um objektbasierte, immersive Technologien handelt. Das bedeutet, dass Audioinhalte gemeinsam mit zugehörigen Metadaten übertragen werden. Metadaten beschreiben hierbei beispielsweise Positionen oder Lautheit der Audioobjekte.
Außerdem handelt es sich bei beiden um proprietäre Formate, was bedeutet, dass zur Produktion jeweils spezielle Tools notwendig sind: die Dolby Atmos Production Suite oder die 360 Reality Audio Creative Suite.
Auffällig ist, dass Sony keine Lautheitsmessung verwendet, da alle Titel unterschiedliche Lautheiten haben. Somit sind klar hörbare Lautheits-Sprünge vorhanden. Das ist für das Musikhören quer durch die Titel nicht unbedingt förderlich. Denn der/die Zuhörer/in muss wahrscheinlich ständig die Lautstärke anpassen.
Hörbar ist das v.a., wenn von einem älteren Song (z.B. Space Oddity – David Bowie oder Loves Me Like a Rock – Paul Simon) zu einem neueren Song (z.B. Closer – The Chainsmokers oder Hometown – Kane Brown) gewechselt wird. Das bringt natürlich das altbekannte – und mit Lautheitsnormen ja eigentlich eingedämmte – Lautheitsproblem wieder hervor.
Achtung: Hört man z.B. Loves Me Like a Rock zuerst an und springt dann zu Hometown, befinden sich die Ohren in großer Gefahr!!
Die 360 Reality Audio Mixe klingen oft eher dumpf und dünn mit ungewohnt resonierenden hohen Mitten. Die Immersion und Räumlichkeit bleibt ebenfalls hinter den Möglichkeiten von 3D-Audio zurück.
Es werden allerdings mittlerweile vermehrt 3D-Effekte (Positionierung der Klangquellen im dreidimensionalen Raum, Verwendung von Hall/Delay im 3D-Raum) verwendet.
Die 360RA Technologie funktioniert deutlich besser mit neueren, elektronischeren Songs. Vermutlich, weil diese mehr Möglichkeiten bieten mit Sound-Objekten zu arbeiten, die sich bewegen und im Raum positioniert werden können.
Im Vergleich der ersten, bereits Ende 2019 auf Tidal hinzugefügten Titel und denen, die aktuell neu hinzugekommen sind, fällt auf, dass sich die klangliche Qualität verbessert hat. Das kann zum einen an einer Weiterentwicklung von Sony’s Binauralrenderer liegen, zum anderen an verbesserten Produktionsworkflows.
BED – Joel Corry, RAYE, David Guetta / Lonely – Joel Corry
Space Oddity – David Bowie
Don’t Let Me Down – The Chainsmokers, Daya
New Years Concert 2020 – Vienna Philharmonics
Album: Voyager – Paul Epworth
A Crow Left of the Murder – Incubus
Walk This Way – Aerosmith
No One / Empire State of Mind (Live at TIDAL X Rock The Vote) – Alicia Keys
Toxic – Britney Spears
I Ain’t Goin‘ Out Like That – Cypress Hill
Dolby Atmos Music hat im Vergleich zu 360 Reality Audio den Vorteil, dass hier auf Lautheitsnormalisierung geachtet wird und somit keine starken Lautheitssprünge entstehen. Es wird auch eine andere HRTF (head-related transfer function) zur Binauralisierung verwendet. Sie soll einerseits klingen, wie in einem guten Kino oder großen Tonstudio. Doch soll sie den Klang nicht zu sehr durch die Räumlichkeit verfärben.
Insgesamt klingen Dolby Atmos Songs ausgewogener und weniger hohe-Mitten-lastig. Dafür werden hier die tiefen Mitten oft zu stark betont. Die meisten Dolby Atmos Demos klingen sehr ähnlich zum Stereo-Mix (z.B. Stitches – Shawn Mendes). Sie sind etwas lauter und etwas räumlicher als Stereo, aber das wars dann oft auch.
Die immersive und räumliche Umhüllung könnte deutlich besser und auffälliger gemischt werden! Das Gesamtkonzept vieler Dolby Atmos Music Demo Mischungen lässt sich als “konservativ” beschreiben, wodurch meist wenig Mehrwert im Vergleich zu Stereo entsteht.
Blinding Lights – The Weeknd
Shallow – Lady Gaga, Bradley Cooper
Imagine – John Lennon
Break My Heart Myself (feat. Travis Barker) – Bebe Rexha / Your Power – Billie Eilish
Clementine – Halsey
Born This Way – Lady Gaga
Call Me – Blondie
Welcome To The Jungle – Guns N‘ Roses
Kryptonite – 3 Doors Down
Objektbasierte Technologien zur Produktion von 3D-Musik (wie Dolby Atmos Music oder 360 Reality Audio) würden eine Vielzahl an neuen Möglichkeiten bieten: Die Verwendung eines dreidimensionalen Raumes, das Gefühl der Umhüllung, Nutzung der Höhen-Ebene, Personalisierung beim Endnutzer etc.
Dennoch lässt sich feststellen, dass beide Technologien aktuell noch weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben, besonders klanglich.
360 Reality Audio Songs sind zwar oft kreativ gemischt, und nutzen besonders der Objekt-Panner im 3D-Raum aus, allerdings haben sie oft einen hohe-Mitten-betonten Gesamtklang, gegeben durch den Binauralrenderer.
Dolby Atmos Music Songs klingen insgesamt meist ausgewogener (mit tendenziell zu starken Mitten), allerdings unterscheiden sie sich oft kaum vom Stereomix und bieten somit selten Mehrwert.
Der hier gewählte Ansatz lässt sich natürlich hinterfragen. Also diese Technologien nur mit dem Maßstab „was klingt besser – Stereo oder 3D-Musikmixe?“ zu vergleichen (Äpfel mit Birnen). Binauraler Musik fehlt, gegeben durch die Räumlichkeit, der „fette, nahe“ Klang, der Stereo ausmacht. Binaurale Musik wird Stereoproduktionen sicherlich nicht ersetzen.
Aber dennoch, damit die binauralen Songs nicht nur klingen als ob etwas fehlt, müssen Technologien wie Dolby Atmos Music oder 360 Reality Audio irgendeinen Mehrwert gegenüber Stereo bieten. 3D-Musik muss zumindest “anders gut” klingen, sodass ein Hör-Anreiz geschaffen wird, diese Mischungen eben AUCH anzuhören.
Dazu sollten die neuen Möglichkeiten, allen voran die Räumlichkeit und Immersion, deutlich stärker ausgenutzt werden. Stärker bedeutet allerdings nicht “zu stark” – ein spannendes Beispiel hierfür ist das Phänomen 8D-Audio.
Das dort vorhandene kontinuierliche Panning um den Kopf herum hat zwar eine gute Externalisierung. Man vergisst das Gefühl Kopfhörer zu nutzten. Es verwendet aber den Effekt des Raum-Pannings viel zu stark und vereinfacht aus. Dadurch entsteht hier kein nachhaltiges, angenehmes Hörerlebnis.
Wenn subjektiv so will, ist Dolby Atmos Music klanglich vor 360 Reality Audio einzuordnen. Wobei letzteres mutiger mit den neuen Produktions-Möglichkeiten umgeht. Es bleibt also spannend, wie und ob sich beide Technologien in den nächsten Monaten klanglich weiterentwickeln. Hier wird natürlich darüber berichtet
Ihr habt selbst weitere Beispiele für gute und schlechte 3D-Musiktitel? Schickt sie mir gerne, dann kann ich die Liste weiter ergänzen.
Schickt mir eure Beispiele!*Anzeige
Verwandte Blogartikel
3D Audio auf Abruf: Musik Streaming Dienste im Überblick
8D Audio – Die immersive Musik der Zukunft?!
Apple Music mit Dolby Atmos klingt schlecht, 3D Spatial Audio kann besser
Dolby Atmos Music - Was ist dieses 3D Sound Erlebnis genau?
Alle Apps mit Spatial 3D Audio - Apple AirPods Pro, Galaxy Buds Pro und mehr!